IZeF-FG Persistenz und Wandel von Schule, Unterricht und Lehrer*innenberuf
(Sprecher: Prof. Dr. Matthias Martens)

Das Schulsystem ist seit mindestens zwei Dekaden verstärkt mit Anforderungen konfrontiert, sich strukturell und inhaltlich zu verändern. Inklusion, Ganztagsschule und Digitalisierung sind nur einige hochaktuelle Beispiele von Innovations-, Reform- bzw. Entwicklungsimpulsen, die Anforderungen an die etablierten Strukturen in Schule, Unterricht und Lehrer*innenberuf sowie an die Wahrnehmungsgewohnheiten, Haltungen und Handlungsweisen der Akteur*innen stellen. Dabei fokussieren die Reformen und Innovationen in ihrer Erwartung etwa an die Individualisierung des Unterrichts oder die multiprofessionelle Kooperation vor allem die Veränderung und den Wandel der Verhältnisse, während das Überdauernde in den Reform- und Entwicklungsprogrammen und in der entsprechenden Professions-, Schul- und Unterrichtsentwicklungsforschung nicht in gleicher Weise in den Blick gerät.
Die Forschung zu Persistenz und Wandel in Bildungssystemen, die sich auf struktur-, kultur- , praxis- und diskurstheoretische sowie neo-institutionalistische, system- und governance-theoretische sowie historisch-vergleichende Ansätze stützt, macht schon lange auf die Bedeutung organisationaler Kontexturen, organisatorischer Regeln, sozio-materieller Strukturen sowie impliziten Wissens und habitueller Muster für die jeweiligen Konstruktionen von Schule, Unterricht und Lehrer*innenberuf aufmerksam. Diese sind in Hinsicht auf Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie auf Professionalisierung entscheidende Kontexte für die Wahrnehmung und Implementierung von Reformen und Innovationen durch die schulischen Akteur*innen und dienen somit als Erklärungsansätze für die Persistenz von Strukturen und Handlungsweisen in Veränderungsprozessen.
Bei der Erforschung von Persistenz und Wandel von Schule, Unterricht und Lehrer*innenberuf werden daher zwei Gegenstandsebenen miteinander verschränkt: Zum einen macht die Forschung aktuelle Reformen und Innovationen (Digitalisierung, Individualisierung, Inklusion usw.) zu ihrem Gegenstand, zum anderen wird Persistenz und Wandel auf einer eher strukturellen Ebene explizit beforscht. Vorstellungen einer rationalen Handlungsmodellierung und direkten Steuerbarkeit von Schule und Unterricht werden unter dieser Forschungsperspektive zurückgestellt, ohne aber die Bedeutsamkeit von Programmatiken und normativen Erwartungen für die Ordnungsbildung im Bildungssystem außer Acht zu lassen. Gefragt wird vielmehr nach dem Verhältnis von Programmatiken und normativen Erwartungen, in denen Reformen und Innovationen kommuniziert werden, einerseits und den Strukturen schulischer Praxis und der Berufsausübung von Lehrpersonen andererseits, um Wandlungsprozesse im Bildungssystem in ihrer Komplexität erforschen zu können. Mit Blick auf Innovationen und Reformen wird in zwei Richtungen gefragt: Inwiefern verändern sich Schule, Unterricht und Lehrerberuf durch Innovationen und Reformen und inwiefern verändern sich die Innovationen und Reformen im Prozess der Implementation in Schule, Unterricht und Lehrerberuf.
Die Forschungsgruppe „Persistenz und Wandel von Schule, Unterricht und Lehrer*innenberuf“ fokussiert vor diesem Hintergrund auf Forschung
- zu fachbezogenen und überfachlichen, geplanten und zielgerichteten sowie ungeplanten, evolutionären Veränderungen
- zur Theoriebildung über das Verhältnis von Persistenz und Wandel
- zu den Gegenstandsbereichen Digitalisierung, Inklusion, Individualisierung und Lehrer*innenbildung
In der IZeF-FG Persistenz und Wandel befinden sich folgende Forschungsprojekte:
Zur Theoretisierung der Transformation von Schule und Unterricht
Veränderungen in Bildungssystemen stehen einerseits im Kontext von Reform- und Innovationserwartungen, mit denen schulische Akteure im Zuge neuer Steuerungsregime und damit einhergehender Verantwortungsaktivierungen in den letzten beiden Jahrzehnten mit großer Regelmäßigkeit konfrontiert sind. Angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen und Umbrüche sind Veränderungen sozialen Systemen andererseits grundsätzlich inhärent. In diesem sich dezidiert der Theorieentwicklung widmenden Projekt werden unterschiedliche Theorieangebote geprüft, um sowohl die Dynamik von Veränderung auf den unterschiedlichen Systemebenen der Organisation, der Interaktion und der Profession beschreibbar wie auch die Persistenz von Strukturen sichtbar zu machen, die ein wesentliches Moment der Transformationsdynamik darstellen. Das Projekt zielt auf eine theoretisch angemessene Beschreibung der Transformation von Schule, Unterricht und Profession, die institutionelle Pfadabhängigkeiten ebenso wie soziale Emergenz berücksichtigt.
Projektteam: Prof. Dr. Matthias Proske, Prof. Dr. Matthias Martens, Prof.in Dr.in Petra Herzmann
Projektpublikationen (Auswahl):
Bossen, A., Herzmann, P., & Labede, J. (2022). Zwischen Transformation und Persistenz. Schule und Unterricht im Kontext der Covid-19-Pandemie. Editorial. Sozialer Sinn, 23(2), 227–235. Download
Herzmann, P., & Liegmann, A. B. (2020). Wie reflexionsförderlich sind universitäre Praxisphasen? Kritische Anmerkungen zu einem Professionalisierungsversprechen aus professionstheoretischer und empirischer Perspektive. In K. Rheinländer, & D. Scholl, Verlängerte Praxisphasen in der Lehrer*innenbildung: Konzeptionelle und empirische Aspekte der Relationierung von Theorie und Praxis (S. 74-88). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Download
Martens, M. (2018). Individualisieren als unterrichtliche Praxis. In M. Proske & K. Rabenstein, Kompendium qualitative Unterrichtsforschung. Unterricht beobachten – beschreiben – rekonstruieren (S. 207-222). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Proske, M., Rabenstein, K., & Meseth, W. (2021). Unterricht als Interaktion. In T. Hascher, W. Helsper, & T.-S. Idel. Handbuch Schulforschung. Wiesbaden: Springer VS. Download
Studienprojekte im Praxissemester (StiPS)
Mit dem Praxissemester wurde in NRW der hochschuldidaktische Ansatz des Forschenden Lernens verpflichtend implementiert. Konstitutives Element sind die Studienprojekte der Studierenden. Anhand von Dokumentenanalyse und Prozessdaten wird rekonstruiert, wie Studierende (und Lehrende) Forschung im Kontext Forschenden Lernens verstehen und machen. Die Befunde geben Aufschluss darüber, inwiefern die professionstheoretische Entwicklung eines wissenschaftlich-reflexiven Lehrerhabitus unter Berücksichtigung institutioneller Rahmenbedingungen universitärer Lehrerbildung angebahnt werden kann und zugleich an Grenzen stößt.
Projektteam: Dr.in Michaela Artmann (Universität zu Köln), Prof.in Dr.in Petra Herzmann (Universität zu Köln), Dr.in Anke Liegmann (Universität Duisburg-Essen)
Förderung: Habilitationsstipendium der ZfL Graduiertenschule für Dr. Michaela Artmann (April-Dezember 2017)
Projektdauer: 2016-2020
Projektpublikationen (Auswahl):
Artmann, M., Berendonck, M., Herzmann, P., & Liegmann, A. B. (Hrsg.) (2018). Professionalisierung in Praxisphasen der Lehrerbildung. Qualitative Forschung aus Bildungswissenschaft und Fachdidaktik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Herzmann, P., & Liegemann, A. B. (2020). Wie reflexionsförderlich sind universitäre Praxisphasen? Kritische Anmerkungen zu einem Professionalisierungsversprechen aus professionstheoretischer und empirischer Perspektive. In K. Rheinländer, & D. Scholl (Hrsg.). Verlängerte Praxisphasen in der Lehrer*innenbildung. Konzeptionelle und empirische Aspekte der Relationierung von Theorie und Praxis (S. 74- 88). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Download
Herzmann, P. & Liegemann, A. B. (2020). Mündliche Prüfungen im Kontext des Forschenden Lernens. (Re-)Adressierungen als Inszenierungen studentischer Expertise. Zeitschrift für Pädagogik, 66(5), 727-745.
Tablets im Unterricht (TabU): Videografische Untersuchungen zur sozialen Organisation tabletbegleiteter Unterrichtsinteraktion
Das Projekt untersucht, wie sich schulischer Fachunterricht durch die Einführung und dauerhafte Nutzung von Tablets verändert bzw. wie Tablets in unterrichtliche Ordnungen und Praktiken eingepasst werden. Auf der Basis der videographischen Beobachtung des Alltagsgeschehens in einer Tablet-Klasse der Sek I werden Zusammenhänge von Praktiken lehrerseitiger Unterrichtsgestaltung und schülerseitiger Partizipation und Kooperation untersucht. Ziel des Projektes ist es, den Einfluss des Tablets auf die Interaktionsordnung im Klassenzimmer in sozialer und wissensbezogener Hinsicht aufzuklären sowie die Handlungsanforderungen zu rekonstruieren, mit denen Lehrkräfte und Schüler/innen im Umgang mit digitalen Medien konfrontiert sind.
Projektteam: Prof. Dr. Matthias Herrle (Bergische Universität Wuppertal), Dr. Markus Hoffmann (Universität zu Köln), Patricia Lauterbach (Bergische Universität Wuppertal), Juliane Spiegler (Universität zu Köln) & Prof. Dr. Matthias Proske (Universität zu Köln)
Förderung: Pilotstudie gefördert vom ZEFFT der BU Wuppertal, Vollantrag in Vorbereitung
Projektpublikationen (Auswahl):
Herrle, M., Hoffmann, M., & Proske, M. (2022). Unterrichtsgestaltung im Kontext digitalen Wandels: Untersuchungen zur soziomedialen Organisation Tablet-gestützter Gruppenarbeit. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Download
Herrle, M., Hoffmann, M., & Proske, M. (2020). Unterricht im digitalen Wandel: Methodologie, Vorgehensweise und erste Auswertungstendenzen einer Studie zum Interaktionsgeschehen in einer Tabletklasse. In K. Kaspar, M. Becker‐Mrotzek, S. Hofhues, J. König, & D. Schmeinck (Hrsg.), Bildung, Schule und Digitalisierung. Münster: Waxmann. Download
Wissenstransfers in der Schul- und Unterrichtsentwicklung: Zur Zusammenarbeit von Universität und Schule
Das Projekt ist an der Wissenschaftlichen Leitung der Inklusiven Universitätsschule der Stadt Köln angesiedelt und reflektiert auf einer Metaebene das Verhältnis von Persistenz und Wandel in tiefgreifenden Gründungs- und Entwicklungsprozessen von Schule. Die wissenschaftliche Reflexion dieses Verhältnisses basiert auf Ergebnissen der Grundlagen-, Evaluations- und Schulbegleitforschung und will Aufschluss über Wissenstransfers in der Schul- und Unterrichtsentwicklung geben. Wie generieren Schulen in Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozessen Fragen? In welchen Transformationsprozessen findet Forschung an diese Fragen Anschluss? Wie fließen Forschungserkenntnisse in den Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozesse ein?
Projektteam: Prof. Dr. Matthias Martens, Ellen Reuther, Dr.in Lucia Sehnbruch, Dr. Bünyamin Werker
Projektpublikationen (Auswahl):
Bietz, C., Asbrand, B., Weichsel, F., & Martens, M. (2020). Forschung und Schulentwicklung. Kollaboration von Schule und Universität am Beispiel der Helene-Lange-Schule und ihrer wissenschaftlichen Begleitung. WEOS Jahrbuch, 3, 48-61. Download
Rosen, L., Sehnbruch, L., & Werker, B. (2020). Herausforderungen der theoretischen Anschlussfähigkeit der sogenannten Neuen Autorität an die didaktische Grundlegung und das Rahmenkonzept der „Heliosschulen – Inklusive Universitätsschulen der Stadt Köln". In M. Penkwitt, A. Textor, N. Kolleck & Köhler, S. (Hrsg.), Anerkennung und Beziehungen. Didaktische Umsetzungen. Zeitschrift für Inklusion, 2. Download
Hensel, M., Niessen, A., Reuther, E., Rosen, L., Sehnbruch, L., Şengüler, B., Weber, B., & Werker, B. (2020). Die „Heliosschulen – Inklusive Universitätsschulen der Stadt Köln". Gründungsgeschichte und aktuelle Entwicklungsperspektiven. WEOS-Jahrbuch, 3, 37-47. Download
MonitorPB - Machbarkeitsstudie „Monitor politische Bildung“
Das projektierte Monitoring politischer Bildung soll in einem regelmäßigen Turnus die Landschaft der politischen Bildung in Deutschland mittels Indikatoren (Kennwerten) erfassen. Dabei basieren die Indikatoren auf Datenerhebungen, die regelmäßig stattfinden (können) und somit in einer Zeitreihe (z. B. jährlich) ausgewertet werden können. Ziel ist ein zur Verfügung gestelltes Instrument, das Trends abbildet und die Analyse periodenübergreifender Zusammenhänge ermöglicht. Als tragfähige Grundlage datenbasierter Entscheidungen politischer, administrativer und zivilgesellschaftlicher Akteure soll der Monitor relevante Aspekte der politischen Bildungslandschaft und ihre Veränderungen repräsentativ abbilden. Der zu konzipierende Monitor orientiert sich zuvorderst am Informationsbedarf der Träger politischer Bildung schulischen und außerschulischen Bereich und adressiert zugleich die Perspektiven der relevanten bildungspolitischen, administrativen und zivilgesellschaftlichen Akteure.
Die Machbarkeitsstudie „Monitor politische Bildung“ untersucht,
• welche Aspekte der politischen Bildungslandschaft ein Monitor abbilden sollte und könnte;
• welche relevanten Datenquellen für ein Monitoring zur politischen Bildung existieren;
• welche Datenquellen bereits heute genutzt werden können und welcher Aufwand für eine regelmäßige Auswertung dieser Daten erforderlich ist;
• zu welchen Aspekten der politischen Bildung keine regelmäßigen und repräsentativen Daten vorliegen und mit welchem Aufwand entsprechende Daten erhoben werden könnten;
• welche Indikatoren auf der Basis der gegebenen Daten konstruiert werden können sowie
• welche Indikatoren mittels weiterer Datenerhebungen prioritär angestrebt werden sollten.
Die Machbarkeitsstudie betrachtet die politische Bildung an Hochschulen, allgemeinbildenden und beruflichen Schulen sowie in der außerschulischen politischen Bildung. In den Blick genommen werden zudem vorhandenen Unterstützungsstrukturen der Felder. Für die genannten Sektoren identifiziert die Machbarkeitsstudie zielgruppenspezifisch, welche Informationsbedarfe und Daten zu den institutionellen und personellen Voraussetzungen der Angebotserbringung (z. B. räumliche Nähe zu politischen Bildungsangeboten, Qualifikationen für der Lehrenden), zu den Bildungsprozessen (z. B. Lernzeit für politische Bildung, Bildungsbeteiligung) und zu den Ergebnissen (z. B. politisches Wissen und Engagement) berücksichtigt werden können und sollten.
Projektleitung: Prof. Dr. Tim Engartner (Universität zu Köln), Prof. Dr. Hermann Josef Abs (Universität Duisburg-Essen), Prof. Dr. Reinhold Hedtke (Universität Bielefeld), Prof. Dr. Monika Oberle (Georg-August-Universität Göttingen)
Projektmitarbeitende: Dr. Simon Niklas Hellmich (Universität Bielefeld), Valeriia Hulkovych (Georg-August-Universität Göttingen), Lucy Patrizia Huschle (Universität Duisburg-Essen), Stella Wasenitz (Universität zu Köln)
Förderung: Bundeszentrale für politische Bildung
Projektdauer: 2022-2025