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IZeF-FG Persistenz und Wandel von Schule, Unterricht und Lehrer*innenberuf

(Sprecher: Prof. Dr. Matthias Martens)

Das Schulsystem ist seit mindestens zwei Dekaden verstärkt mit Anforderungen konfrontiert, sich strukturell und inhaltlich zu verändern. Inklusion, Ganztagsschule und Digitalisierung sind nur einige hochaktuelle Beispiele von Innovations-, Reform- bzw. Entwicklungsimpulsen, die Anforderungen an die etablierten Strukturen in Schule, Unterricht und Lehrer*innenberuf sowie an die Wahrnehmungsgewohnheiten, Haltungen und Handlungsweisen der Akteur*innen stellen. Dabei fokussieren die Reformen und Innovationen in ihrer Erwartung etwa an die Individualisierung des Unterrichts oder die multiprofessionelle Kooperation vor allem die Veränderung und den Wandel der Verhältnisse, während das Überdauernde in den Reform- und Entwicklungsprogrammen und in der entsprechenden Professions-, Schul- und Unterrichtsentwicklungsforschung nicht in gleicher Weise in den Blick gerät.

Die Forschung zu Persistenz und Wandel in Bildungssystemen, die sich auf struktur-, kultur- , praxis- und diskurstheoretische sowie neo-institutionalistische, system- und governance-theoretische sowie historisch-vergleichende Ansätze stützt, macht schon lange auf die Bedeutung organisationaler Kontexturen, organisatorischer Regeln, sozio-materieller Strukturen sowie impliziten Wissens und habitueller Muster für die jeweiligen Konstruktionen von Schule, Unterricht und Lehrer*innenberuf aufmerksam. Diese sind in Hinsicht auf Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie auf Professionalisierung entscheidende Kontexte für die Wahrnehmung und Implementierung von Reformen und Innovationen durch die schulischen Akteur*innen und dienen somit als Erklärungsansätze für die Persistenz von Strukturen und Handlungsweisen in Veränderungsprozessen.  

Bei der Erforschung von Persistenz und Wandel von Schule, Unterricht und Lehrer*innenberuf werden daher zwei Gegenstandsebenen miteinander verschränkt: Zum einen macht die Forschung aktuelle Reformen und Innovationen (Digitalisierung, Individualisierung, Inklusion usw.) zu ihrem Gegenstand, zum anderen wird Persistenz und Wandel auf einer eher strukturellen Ebene explizit beforscht. Vorstellungen einer rationalen Handlungsmodellierung und direkten Steuerbarkeit von Schule und Unterricht werden unter dieser Forschungsperspektive zurückgestellt, ohne aber die Bedeutsamkeit von Programmatiken und normativen Erwartungen für die Ordnungsbildung im Bildungssystem außer Acht zu lassen. Gefragt wird vielmehr nach dem Verhältnis von Programmatiken und normativen Erwartungen, in denen Reformen und Innovationen kommuniziert werden, einerseits und den Strukturen schulischer Praxis und der Berufsausübung von Lehrpersonen andererseits, um Wandlungsprozesse im Bildungssystem in ihrer Komplexität erforschen zu können. Mit Blick auf Innovationen und Reformen wird in zwei Richtungen gefragt: Inwiefern verändern sich Schule, Unterricht und Lehrerberuf durch Innovationen und Reformen und inwiefern verändern sich die Innovationen und Reformen im Prozess der Implementation in Schule, Unterricht und Lehrerberuf.

Die Forschungsgruppe „Persistenz und Wandel von Schule, Unterricht und Lehrer*innenberuf“ fokussiert vor diesem Hintergrund auf Forschung

  • zu fachbezogenen und überfachlichen, geplanten und zielgerichteten sowie ungeplanten, evolutionären Veränderungen
  • zur Theoriebildung über das Verhältnis von Persistenz und Wandel
  • zu den Gegenstandsbereichen Digitalisierung, Inklusion, Individualisierung und Lehrer*innenbildung

In der IZeF-FG Persistenz und Wandel befinden sich folgende Forschungsprojekte:


Partizipative digitale Schulentwicklung

Die digitale Wende innerhalb des deutschen Schulsystems ist unlängst als geteiltes Erfordernis konsentiert und durch jüngere bildungspolitische Maßnahmen, wie die KMK-Beschlussfassungen zur „Bildung in der digitalen Welt“ (2022), als Veränderungsauftrag forciert worden.

Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Partizipative digitale Schulentwicklung“ im Verbund LeadCom ist Bestandteil des BMBF-Kompetenzzentrum digitale Schulentwicklung (lernen:digital). Mit Start im August 2023 werden in Kooperation mit dem schulischen Praxispartner Heliosschulen – Inklusive Universitätsschule Köln (IUS) designbasiert Konzepte entwickelt, die wesentliche Voraussetzungen einer digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung darstellen. Als ein grundlegender Bestandteil gilt der Einfluss, den Schulleitungen in verschiedenen schulischen Entwicklungsdimensionen haben (u.a. Eickelmann & Gerick 2017). Im Sinne einer Digital Leadership wird bedeutsam, dass einerseits Führung in schulischen Organisationen „ein Kernmerkmal ist, von dem es abhängt, ob Schule in ihrer Gesamtheit als solche gelingt oder nicht“ (Pietsch et al 2020, 869) und andererseits kommt Leitungspersonen die Funktion zu, den Entwicklungsstand der einzelnen Schulen sicherzustellen wie auch Innovationen anzustoßen und hiermit betraute Lehrpersonen zu unterstützen. Das Führen einer Schule im digitalen Wandel ist dabei durch die zweifache Anforderung gekennzeichnet, „sowohl digital zu führen als auch in digitalen Zeiten zu führen“ (Röhl, 2022, 70).

Die Tragweite digitaler Schulentwicklung benötigt Varianten einer Leadership, in denen das Führungshandeln nur begrenzt von Einzelnen verantwortet und „auf mehrere Schultern verteilt werden muss“ (Schiefner-Rohs 2019, 20). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass hierbei „both named and non-positional leadership“ (Campbell et al. 2023, 102) bedeutsam werden kann. Eine Distributed Digital Leadership betrifft an digitalisierungsbezogenen Entwicklungsprozessen beteiligte Akteurskonstellationen und die ausgehandelte Verteilung von Verantwortung, Macht und Entscheidung. Dabei ist zentral, wie Akteur:innen der Schulgemeinschaft an Schulentwicklung partizipieren oder etwa zur „Teilhabe an Entscheidungsmacht“ (Urban 2005, 2) befähigt werden.

Von diesen Vorüberlegungen ausgehend verfolgt das Projekt folgende Fragestellungen:

  • Wie koordinieren inklusive Teamschulen die Entwicklung einer digitalen Schulkultur?
  • Wie wird das Verhältnis von (distributiver) Führung und Partizipation ausgestaltet?
  • Wie wird Beteiligung (und Nicht-Beteiligung) an digitaler Schulentwicklung ausgehandelt?

Das Projekt „Partizipative digitale Schulentwicklung“ ist als Research-Practice Partnership konzipiert. Die Zusammenarbeit erfolgt auf Augenhöhe, so dass die je ausgebildeten communities of practice als unterschiedlich, aber gleichwertig angesehen werden (Asbrand & Martens 2021). Dabei ist es Aufgabe der Begleitforschung, Schulentwicklungsarbeit als eigenlogischen Prozess der Einzelschule zu begreifen und einem nicht-technologischen Transferverständnis zu folgen. So werden Forschungserkenntnisse als „Deutungsangebote“ (Diedrich 2015) in geeigneten Rückmeldeformaten an die Schule zurückgemeldet. Dabei soll den Praxispartner:innen ihre Routinen, Handlungsorientierungen und eigene implizite Wissensbestände explizit und reflexiv verfügbar gemacht werden.

Verfolgt werden drei Entwicklungsziele:

  1. Erfassung, Evaluation und (Weiter-)Entwicklung von Beteiligungsprozessen in der digitalen Schulentwicklung
  2. Schulspezifische Modellierung distributiver Führung in digitalen Schulentwicklungsprozessen (organisationsübergreifend)
  3. Kollaboration und Transfer von Wissenschaft und Schulpraxis in der Inklusiven Universitätsschule

Weitere Informationen zum Projekt finden Sie hier.
Näheres zum Verbund LeadCom erfahren Sie hier.

Projektleitung: Prof. Dr. Matthias Martens

Projektmitarbeitende: Dr. Tobias Dohmen

Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

Projektdauer: 2023-2026

Projektpublikationen:
Dohmen, T., & Martens, M. (i. E.): Entwicklung von Distributed Digital Leadership. Partizipation und Führung in digitalen Schulentwicklungsprozessen. In J. König, C. Hanisch, P. Hanke, T. Hennemann, K. Kaspar, M. Martens, & S. Strauß (Hrsg.), Auf die Lehrperson und ihren Unterricht kommt es an. 10 Jahre empirische Professions- und Unterrichtsforschung im IZeF der Universität zu Köln. Münster: Waxmann.


MonitorPB - Machbarkeitsstudie „Monitor politische Bildung“

Das projektierte Monitoring politischer Bildung soll in einem regelmäßigen Turnus die Landschaft der politischen Bildung in Deutschland mittels Indikatoren (Kennwerten) erfassen. Dabei basieren die Indikatoren auf Datenerhebungen, die regelmäßig stattfinden (können) und somit in einer Zeitreihe (z. B. jährlich) ausgewertet werden können. Ziel ist ein zur Verfügung gestelltes Instrument, das Trends abbildet und die Analyse periodenübergreifender Zusammenhänge ermöglicht. Als tragfähige Grundlage datenbasierter Entscheidungen politischer, administrativer und zivilgesellschaftlicher Akteure soll der Monitor relevante Aspekte der politischen Bildungslandschaft und ihre Veränderungen repräsentativ abbilden. Der zu konzipierende Monitor orientiert sich zuvorderst am Informationsbedarf der Träger politischer Bildung schulischen und außerschulischen Bereich und adressiert zugleich die Perspektiven der relevanten bildungspolitischen, administrativen und zivilgesellschaftlichen Akteure.

Die Machbarkeitsstudie „Monitor politische Bildung“ untersucht,
•   welche Aspekte der politischen Bildungslandschaft ein Monitor abbilden sollte und könnte;
•   welche relevanten Datenquellen für ein Monitoring zur politischen Bildung existieren;
•   welche Datenquellen bereits heute genutzt werden können und welcher Aufwand für eine regelmäßige Auswertung dieser Daten erforderlich ist;
•   zu welchen Aspekten der politischen Bildung keine regelmäßigen und repräsentativen Daten vorliegen und mit welchem Aufwand entsprechende Daten erhoben werden könnten;
•   welche Indikatoren auf der Basis der gegebenen Daten konstruiert werden können sowie
•   welche Indikatoren mittels weiterer Datenerhebungen prioritär angestrebt werden sollten.

Die Machbarkeitsstudie betrachtet die politische Bildung an Hochschulen, allgemeinbildenden und beruflichen Schulen sowie in der außerschulischen politischen Bildung. In den Blick genommen werden zudem vorhandenen Unterstützungsstrukturen der Felder. Für die genannten Sektoren identifiziert die Machbarkeitsstudie zielgruppenspezifisch, welche Informationsbedarfe und Daten zu den institutionellen und personellen Voraussetzungen der Angebotserbringung (z. B. räumliche Nähe zu politischen Bildungsangeboten, Qualifikationen für der Lehrenden), zu den Bildungsprozessen (z. B. Lernzeit für politische Bildung, Bildungsbeteiligung) und zu den Ergebnissen (z. B. politisches Wissen und Engagement) berücksichtigt werden können und sollten.

Weitere Informationen finden Sie auf der Projekthomepage.

Projektleitung:  Prof. Dr. Tim Engartner (Universität zu Köln), Prof. Dr. Hermann Josef Abs (Universität Duisburg-Essen), Prof. Dr. Reinhold Hedtke (Universität Bielefeld), Prof. Dr. Monika Oberle (Georg-August-Universität Göttingen)

Projektmitarbeitende: Dr. Simon Niklas Hellmich (Universität Bielefeld), Valeriia Hulkovych (Georg-August-Universität Göttingen), Lucy Patrizia Huschle (Universität Duisburg-Essen), Marie Heijens (Universität zu Köln), Stella Wasenitz (Universität zu Köln)

Förderung: Bundeszentrale für politische Bildung

Projektdauer: 2022-2025


QualiPro - Qualität von Lernprozessbegleitung: Versuchs- und Universitätsschulen als Entwicklungs- und Transferakteur*innen

Die Heterogenität von Lern- und Leistungsvoraussetzungen soll für Lehrpersonen den Ausgangspunkt bilden, lernförderliche und individuell auf Schüler*innen abgestimmte Lernbedingungen zu entwickeln. Lernprozessbegleitung stellt ein evidenzbasiertes Verfahren dar, um Unterricht an individuelle Lernvoraussetzungen anzupassen und Kompetenzen von Schüler*innen individuell zu fördern. Im geplanten Projekt QualiPro wird die Implementierung und Weiterentwicklung von Verfahren der Lernprozessbegleitung in vier Versuchs- und Universitätsschulen in drei Bundesländern im Sinne einer Design Based Research empirisch untersucht und gemeinsam mit den Lehrpersonen weiterentwickelt. Die Ergebnisse sollen in die Schul- und Unterrichtsentwicklung der beteiligten Schulen und in auf alle drei Phasen der Lehrer*innenbildung bezogene Transferprojekte an den vier Standorten einfließen. Ausgangspunkt des Vorhabens ist ein praxistheoretisches Verständnis von Unterrichtsqualität, wonach eine Implementierung evidenzbasierter Verfahren in der Schulpraxis dann erfolgreich ist, wenn sie mit einer entsprechenden Haltung der Lehrpersonen verbunden und im Unterricht als eine habitualisierte, routinierte Praxis etabliert sind. Im Kölner Teilprojekt liegt der Fokus auf einer inklusiven Lernprozessbegleitung. Im Verbundprojekt kooperieren die Technische Universität Dresden mit der Universitätsschule Dresden, die Universität Bielefeld mit der Laborschule Bielefeld, die Goethe-Universität mit der Helene-Lange-Schule Wiesbaden – Versuchsschule des Landes Hessen sowie die Universität zu Köln mit der Inklusiven Universitätsschule Köln.

Projektleitung: Prof. Dr. Matthias Martens

Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung

Projektdauer: 2024-2027


ReTransfer - Re-Innovation und Transfer digitaler Fachkonzepte in der gesellschaftswissenschaftlichen Lehrkräftebildung im Kontext von digitaler Souveränität und offenen Bildungspraktiken

Ziel des Verbundprojektes ist die Entwicklung und anwendungsbezogene Beforschung von digitalen Fachkonzepten für die länderübergreifende gesellschaftswissenschaftliche Lehrkräftefortbildung, die im Kontext von offenen Bildungspraktiken in Blended-Learning Arrangements angeboten werden. Um die Ziele zu erreichen, werden an sechs Hochschulstandorten in fünf unterschiedlichen Bundesländern in Zusammenarbeit mit dem DIPF und den Landesinstituten aus länder- und hochschulübergreifender Perspektive fachdidaktische Standards zur Konfiguration von digitalen Fachkonzepten im Kontext anwendungsfähiger digitaler Lehrkräftefortbildungen formuliert.  Im gesamten Verbund gibt es sieben Teilprojekte und zehn Arbeitsbereiche.

Der thematische Schwerpunkt des Teilprojektes der Universität zu Köln liegt dabei auf der Bereitstellung privatwirtschaftlicher Lernmaterialien und befasst sich hierbei mit der Frage, inwiefern die von Unternehmen und Lobbygruppen kosten-, aber i. d. R. nicht lizenzfrei zur Verfügung gestellten digitalen Unterrichtsmaterialien einen aus Sicht der Lehrkräfte relevanten Materialpool (insbesondere auch für Lehrkräftefortbildungen) darstellen. Hintergrund dieser Fragestellung sind die stetig wachsenden Lobbyaktivitäten im „Schonraum Schule“. Die Aktivitäten zielen auf die Einflussnahme der Weltbilder von Schüler*innen, die Prägung ihrer Vor- und Einstellungen sowie deren möglichst frühzeitige Markenbindung. Dabei lässt sich die Finanzierung, die Entwicklung und die Verbreitung von Unterrichtsmaterialien – bisweilen sogar verbunden mit der Entsendung unternehmenseigener Mitarbeiter*innen als Lehrpersonal – heute als das zentrale Vehikel zur Einflussnahme auf Unterricht hervorheben.

Zunächst werden hierfür digitale Lernmaterialien privater Anbieter mittels Massentextanalyse (Seeded Topic Modeling) anhand schul-, kultus- und bildungsministerieller Vorgaben untersucht. Daneben wird außerdem die Einstellungen der Lehrkräfte zu diesen Materialien durch Interviews erhoben. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse werden digitale Fachkonzepte – durch digitale Medien unterstützte Lehr- und Lernkonzepte – entwickelt. Als überfachlicher Orientierungsrahmen dient hier das Frankfurt-Dreieck zur Bildung in der digitalen Welt, in dem Digitalität im Bildungsprozess aus einer technologisch-medialen, gesellschaftlich-kulturellen und subjektiven Perspektive analysiert, reflektiert und gestaltet wird. Mithilfe der entwickelten Fachkonzepte werden dann Lehrkräftefortbildungen erarbeitet, durchgeführt und evaluiert. Dies dient der Einschätzung inwiefern digitale Unterrichtsmaterialien aus der privatwirtschaftlichen Sphäre gerade auch vor dem Hintergrund des „Di-gitalPakt Schule“ ein geeignetes Vehikel zur Gestaltung gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichts darstellen.

Projektleitung: Prof. Dr. Detlef Kanwischer (Goethe-Universität Frankfurt), Prof.in Dr.in Andrea Szukala (Universität Augsburg), Dr. Uwe Schulze (Goethe-Universität Frankfurt), Prof.in Dr.in Mirka Dickel (Friedrich-Schiller-Universität Jena), Prof. Dr. Tim Engartner (Universität zu Köln), Dr.in Tamara Heck (Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation), Prof.in Dr.in Anke John (Friedrich-Schiller-Universität Jena), Prof. Dr. Christian Kuchler (RWTH Aachen), Prof.in Dr.in Nicole Raschke (TU Dresden), Prof. Dr. Marc Rittberger (Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation)

Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung

Projektdauer: 2023-2025


Tablets im Unterricht (TabU): Soziomediale Organisation unterrichtlicher Wissensproduktion in Phasen gruppenförmigen Arbeitens

Tablets sind in den letzten Jahren zunehmend Teil des schulischen Alltags geworden. Insbesondere der 2019 beschlossene DigitalPakt Schule hat zum Ausbau der digitalen Infrastruktur und Ausstattung von Schulen beigetragen. Gleichzeitig wird vielfach darauf hingewiesen, dass aus einer innovativen technischen Infrastruktur nicht automatisch ein besseres schulisches Lehren und Lernen resultiere. Die Kultusministerkonferenz der Länder hat dies in ihrer vielbeachteten Erklärung „Bildung in der digitalen Welt“ auf die scheinbar griffige Formel des Primat des Pädagogischen gebracht, d.h. digitale Technologien bedürfen der pädagogisch begründeten Integration in schulisch organisierte Lehr-Lernprozesse.

Obwohl also Tablets zunehmend im Unterricht präsent sind und obwohl (medien-)pädagogische Ziele der Tabletnutzung wie die Förderung selbstständigen Arbeitens oder die Individualisierung des Lernprozesses formuliert sind, ist erstaunlich wenig darüber bekannt, wie Tablets im Detail von Lehrkräften und Schüler*innen genutzt und wie sie in den Unterricht eingebunden werden. Als besonders relevant für den tabletgestützten Unterricht gelten gruppenförmige Settings. Von ihnen wird erwartet, dass sie das selbständige Arbeiten und Kooperieren der Schüler*innen fördern. Zwar existieren Belege für Kompetenzzuwächse, wie jedoch die soziomedialen Settings im Zusammenspiel von Schüler*innen, Lehrkräften und digitalen Medien auf der operativen Ebene des Vollzugs von Gruppenarbeit in Tabletklassen funktionieren, ist ebenfalls noch weitgehend unbekannt. Diese Forschungslücken zu schließen, ist das Ziel des Forschungsprojektes TabU.

Untersuchungsdesign und Methoden
Auf der Basis mehrperspektivischer Video- und Audiodaten des Unterrichtsgeschehens und ihrer mikroethnographischen Analyse fragen wir deshalb in TabU, wie Wissensprodukte in gruppenunterrichtlichen Settings erzeugt werden. Dazu untersuchen wir zunächst (1) die phasenförmige Ausdifferenzierung von Gruppenarbeiten in Verlaufsmuster soziomedialer Arrangements zwischen Lehrkräften, Schüler*innen und digitalen Materialitäten. Im Detail werden anschließend (2) multimodale Interaktionspraktiken rekonstruiert, mit denen sich die Beteiligten innerhalb dieser Arrangements – also im Umgang mit digitalen Materialitäten – auf Anforderungen der Herstellung von Wissensprodukten beziehen. Schließlich (3) bestimmen wir, wie Gruppenarbeiten in die Gesamtformatierung des Unterrichtsablaufs eingebettet sind – in vorauslaufende Phasen der Ermöglichung von Gruppenarbeiten und in anschließende Phasen der klassenöffentlichen Bewertung und Distribution von Wissensprodukten.

Fragestellungen
Konkrete Fragestellungen in TabU sind:

  • Wie integrieren Lehrkräfte und Schüler*innen die Tablets in die Entwicklung und Bearbeitung von Aufgaben?
  • Wie nehmen Tablets Einfluss auf das kollaborative Bearbeiten solcher Aufgaben durch die Schüler*innen in Phasen der Gruppenarbeit?
  • Was geschieht genau beim Recherchieren mit Tablets?
  • Welches Wissen wird beim Arbeiten mit Tablets zu legitimem Unterrichtswissen und werden dabei bisherige Wissensquellen delegitimiert?
  • Wie sehen die „Produkte“ aus, die in der Arbeit mit Tablets als Ergebnisse präsentiert werden?
  • Wie genau verläuft das tabletbasierte Erstellen und Zeigen einer solchen Präsentation?

Der Analyse zugänglich gemacht werden unsere untersuchten Unterrichtssettings durch mehrperspektivische Videoaufzeichnungen sowie durch simultane Screenrecordings der Tablets, d.h. der Prozesse, die die Schüler*innen auf ihren Tablets durchführen. Wir erheben die Videodaten in Schulklassen der Sekundarstufe I in unterschiedlichen Schulformen und Fächern aus den Lernbereichen Sprache/Literatur/Musik, Gesellschaftslehre sowie Mathematik/Informatik/Naturwissenschaften/Technik (MINT).

Ziele des Projekts
Mit den Ergebnissen unserer Untersuchung wollen wir die empirische Befundlage zum Computer-Supported Collaborative Learning um Aspekte der unterrichtlichen Situierung und der multimodalen Konstitution tabletgestützter Gruppenarbeiten erweitern. Anhand differenzierter mikrologischer Analysen generieren wir mit unserem Projekt neue Befunde über die Vollzugswirklichkeit von (Gruppen-)Unterricht in digitalisierten Klassenzimmern, auf deren Grundlage Persistenz und Wandel von Schule im Kontext digitaler Transformationen diskutiert und in Relation zu Optimierungserwartungen und Ökonomisierungskritik eingeordnet werden können. Wir leisten zudem einen Beitrag zur Weiterentwicklung von Unterrichtstheorien, indem wir konzeptionell darüber aufklären, wie digitale Materialitäten an Gruppenarbeiten partizipieren und in Prozesse der unterrichtlichen Wissensproduktion eingebunden sind. Schließlich tragen wir in forschungsmethodischer Hinsicht zur Innovation etablierter Ansätze videogestützter Unterrichtsinteraktionsforschung bei, indem wir Screenrecordings als neuen Datentyp systematisch einbeziehen.

Weitere Informationen zum Projekt finden Sie hier.

Projektleitung: Prof. Dr. Matthias Proske (Universität zu Köln), Prof. Dr. Matthias Herrle (Universität Wuppertal)

Projektmitarbeitende:
Universität zu Köln: Anne Zimmer (Wissenschaftliche Mitarbeiterin), Maike Süßmuth (Studentische Hilfskraft)
Universität Wuppertal: Aline Puzicha als (Wissenschaftliche Mitarbeiterin), Melina Eckhart, Laurens Gallas und Lukas Horst (Studentische bzw. Wissenschaftliche Hilfskräfte)

Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Projektdauer: 2024-2026

Projektpublikationen (chronologisch):

Herrle, M., Hoffmann, M. & Proske, M. (2022). Unterrichtsgestaltung im Kontext digitalen Wandels: Untersuchungen zur soziomedialen Organisation Tablet-gestützter Gruppenarbeit. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 25, 1389–1408. Download

Proske, M., Rabenstein, K., Moldenhauer, A., Thiersch, S., Bock, A., Herrle, M., Hoffmann, M. Langer, A., Macgilchrist, F., Wagener-Böck N. & Wolf E. (Hrsg.) (2023). Schule und Unterricht im digitalen Wandel. Ansätze und Erträge rekonstruktiver Forschung. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Proske, M., Rabenstein, K. & Thiersch, S. (2023). Rekonstruktiv-sinnverstehende Forschung zu Unterricht und Schule im digitalen Wandel. Abgrenzungen, Anschlüsse, Ansätze. In M. Proske, K. Rabenstein, A. Moldenhauer, S. Thiersch, A. Bock, M. Herrle, M. Hoffmann, A. Langer, F. Macgilchrist, N. Wagener-Böck & E. Wolf (Hrsg.), Schule und Unterricht im digitalen Wandel. Ansätze und Erträge rekonstruktiver Forschung (S. 11–32). Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Herrle, M., Hoffmann, M. & Proske, M. (2023). Distribution von Wissensprodukten beim kooperativen Lernen in Tabletklassen. Untersuchungen zur soziomedialen Organisation des Interaktionsgeschehens. In M. Proske, K. Rabenstein, A. Moldenhauer, S. Thiersch, A. Bock, M. Herrle, M. Hoffmann, A. Langer, F. Macgilchrist, N. Wagener-Böck & E. Wolf (Hrsg.), Schule und Unterricht im digitalen Wandel. Ansätze und Erträge rekonstruktiver Forschung (S. 35–66). Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Herrle, M. & Wagener-Böck, N. (2023). Zur rekonstruktiven Untersuchung von Schule und Unterricht. In M. Proske, K. Rabenstein, A. Moldenhauer, S. Thiersch, A. Bock, M. Herrle, M. Hoffmann, A. Langer, F. Macgilchrist, N. Wagener-Böck & E. Wolf (Hrsg.), Schule und Unterricht im digitalen Wandel. Ansätze und Erträge rekonstruktiver Forschung (S. 139–151). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Spiegler, J., Herrle, M., Hoffmann, M. & Proske, M. (2023). Produktion von Leistung im digital-gestützten Unterricht. In M. Schiefner-Rohs, I. Neto Carvalho & C. Troxler (Hrsg.), Ethnographie und Videographie pädagogischer Praktiken „Ein-Blicke“ in Projekte der Schul- und Unterrichtsforschung in einer Kultur der Digitalität. (S. 120-140) Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.


ViGeBi - Virale # Gesellschaftskonstruktionen und Gelingensfaktoren digitalisierter Bildungsprozesse in der gesellschaftswissenschaftlichen Lehrkräftebildung

Längst ist das Internet zu einem Ort für kulturelle, politische und soziale Veränderung geworden. Hierbei spielt insbesondere die Viralität kommunikativer Botschaften in den sozialen Netzwerken eine bedeutende Rolle. Dieses Phänomen zeichnet sich durch ein neues Niveau der Verbreitungsgeschwindigkeit, Allgegenwärtigkeit und Unsicherheit bzgl. der Informationsquellen aus. Vor diesem Hintergrund werden in dem Projekt, das im Projektverbund Digi_Gap angesiedelt ist, fach- und phasenübergreifende Blended-Learning-Arrangements für die gesellschaftswissenschaftliche Lehrkräftebildung entwickelt. Um die Kompetenzen zum Einsatz derartiger Medienformate sowie deren unterrichtliche Reflektion zu fördern, werden fachdidaktische Konzepte und digitale Werkzeuge entwickelt, die nicht nur der Vor- und Nachbereitung von Unterricht dienen, sondern auch auf unterschiedliche Phasen der Lehrkräftebildung anwendbar sind.

Projektteam: Prof. Dr. Tim Engartner (Universität zu Köln), Prof. Dr. Detlef Kanwischer (Goethe-Universität Frankfurt), David Falkenstein

Förderung:  Bundesministerium für Bildung und Forschung

Projektdauer: 2020-2023


Wissenstransfers in der Schul- und Unterrichtsentwicklung: Zur Zusammenarbeit von Universität und Schule

Das Projekt ist an der Wissenschaftlichen Leitung der Inklusiven Universitätsschule der Stadt Köln angesiedelt und reflektiert auf einer Metaebene das Verhältnis von Persistenz und Wandel in tiefgreifenden Gründungs- und Entwicklungsprozessen von Schule. Die wissenschaftliche Reflexion dieses Verhältnisses basiert auf Ergebnissen der Grundlagen-, Evaluations- und Schulbegleitforschung und will Aufschluss über Wissenstransfers in der Schul- und Unterrichtsentwicklung geben. Wie generieren Schulen in Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozessen Fragen? In welchen Transformationsprozessen findet Forschung an diese Fragen Anschluss? Wie fließen Forschungserkenntnisse in den Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozesse ein?

Projektteam: Prof. Dr. Matthias Martens, Ellen Reuther, Dr.in Lucia Sehnbruch, Dr. Bünyamin Werker

Projektpublikationen (Auswahl):

Bietz, C., Asbrand, B., Weichsel, F., & Martens, M. (2020). Forschung und Schulentwicklung. Kollaboration von Schule und Universität am Beispiel der Helene-Lange-Schule und ihrer wissenschaftlichen Begleitung. WEOS Jahrbuch, 3, 48-61. Download

Rosen, L., Sehnbruch, L., & Werker, B. (2020). Herausforderungen der theoretischen Anschlussfähigkeit der sogenannten Neuen Autorität an die didaktische Grundlegung und das Rahmenkonzept der „Heliosschulen – Inklusive Universitätsschulen der Stadt Köln". In M. Penkwitt, A. Textor, N. Kolleck & Köhler, S. (Hrsg.), Anerkennung und Beziehungen. Didaktische Umsetzungen. Zeitschrift für Inklusion, 2Download

Hensel, M., Niessen, A., Reuther, E., Rosen, L., Sehnbruch, L., Şengüler, B., Weber, B., & Werker, B. (2020). Die „Heliosschulen – Inklusive Universitätsschulen der Stadt Köln". Gründungsgeschichte und aktuelle Entwicklungsperspektiven. WEOS-Jahrbuch, 3, 37-47. Download


Zur Theoretisierung der Transformation von Schule und Unterricht

Veränderungen in Bildungssystemen stehen einerseits im Kontext von Reform- und Innovationserwartungen, mit denen schulische Akteure im Zuge neuer Steuerungsregime und damit einhergehender Verantwortungsaktivierungen in den letzten beiden Jahrzehnten mit großer Regelmäßigkeit konfrontiert sind. Angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen und Umbrüche sind Veränderungen sozialen Systemen andererseits grundsätzlich inhärent. In diesem sich dezidiert der Theorieentwicklung widmenden Projekt werden unterschiedliche Theorieangebote geprüft, um sowohl die Dynamik von Veränderung auf den unterschiedlichen Systemebenen der Organisation, der Interaktion und der Profession beschreibbar wie auch die Persistenz von Strukturen sichtbar zu machen, die ein wesentliches Moment der Transformationsdynamik darstellen. Das Projekt zielt auf eine theoretisch angemessene Beschreibung der Transformation von Schule, Unterricht und Profession, die institutionelle Pfadabhängigkeiten ebenso wie soziale Emergenz berücksichtigt.

Projektteam: Prof. Dr. Matthias Proske, Prof. Dr. Matthias Martens, Prof.in Dr.in Petra Herzmann

Projektpublikationen (Auswahl):

Bossen, A., Herzmann, P., & Labede, J. (2022). Zwischen Transformation und Persistenz. Schule und Unterricht im Kontext der Covid-19-Pandemie. Editorial. Sozialer Sinn, 23(2), 227–235. Download

Herzmann, P., & Liegmann, A. B. (2020). Wie reflexionsförderlich sind universitäre Praxisphasen? Kritische Anmerkungen zu einem Professionalisierungsversprechen aus professionstheoretischer und empirischer Perspektive. In K. Rheinländer, & D. Scholl, Verlängerte Praxisphasen in der Lehrer*innenbildung: Konzeptionelle und empirische Aspekte der Relationierung von Theorie und Praxis (S. 74-88). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Download

Martens, M. (2018). Individualisieren als unterrichtliche Praxis. In M. Proske & K. Rabenstein, Kompendium qualitative Unterrichtsforschung. Unterricht beobachten – beschreiben – rekonstruieren (S. 207-222). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Proske, M., Rabenstein, K., & Meseth, W. (2021). Unterricht als Interaktionsgeschehen. Konstitution, Ordnungsbildung und Wandel. In T. Hascher, W. Helsper, & T.-S. Idel. Handbuch Schulforschung. Wiesbaden: Springer VS. Download